Der Möbel- und Interiordesigner Jean-Michel Frank im Porträt
/ AD Architectural Digest

Am Ende hat das Nichts ihn doch wieder eingeholt. Jean-Michel Frank, der geniale Gestalter des Art déco, dessen Werk um die Leere des Raumes und um die Fantasien des Geistes kreiste, mit denen er der Dunkelheit und Einsamkeit entfloh, die seit der Kindheit in ihm schwelten.

 

Frank also starb am 8. März 1941 an einer Überdosis Barbiturate in New York. Wenige Monate zuvor hatte er hier noch die letzten Handgriffe an dem Apartment Nelson Rockefellers vorgenommen, auf dem Höhepunkt seines Schaffens, als weltweit von der feinen Gesellschaft gefeiertes Designgenie aus Paris. Doch als er sich das Leben nahm, war das alles weit weg. Aus dem besetzten Frankreich war Frank nach Buenos Aires geflüchtet, um sich dann in New York mit seinem Partner zu treffen, einem Amerikaner, mit dem er seit zehn Jahren zusammen gewesen war. Doch von dem fehlte plötzlich jede Spur, womöglich hatte er jemand anderen – und da war sie wieder, die Dunkelheit. Und diesmal hielt Frank ihr nicht stand. 

 

Geboren am 28. Februar in Paris, ist Frank der jüngste und zarteste von drei Söhnen einer bourgeoisen, jüdischen Familie, die ihre Wurzeln im deutschen Bankierswesen hatte – sein Vater ist der Großonkel von Anne Frank. Als 1914 der Krieg ausbricht, werden Franks Brüder  eingezogen und fallen binnen weniger Wochen. Seine Eltern ertragen den Schmerz nicht – der Vater stürzt sich aus dem Fenster, die Mutter wird in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Frank ist von da an auf sich allein gestellt. Er nimmt Drogen, tut sich im Bankenwesen um, doch letztlich ist diese Arbeit nichts für ihn. Gewohnt, in Kreisen von Künstler:innen, Intellektuellen und Aristokrat:innen zu verkehren, transformiert er seine Depression in Witz, Charme und ein Talent zur Innenraumausstattung, das er nie formal gelernt hat, sondern das ihm auf geheimnisvolle Weise innezuwohnen scheint. 

 

Die kreativen Anfänge von Jean-Michel Frank

 

1921 beginnt er, den Weg zu gehen, ohne den unser zeitgenössisches Interieur ein anderes wäre. In einer Welt, die nach neuen Ideen sucht und in der das Geld der reichen Villenbewohner locker sitzt, kann Frank seiner Vorstellung freien Lauf lassen: Innenräume fegt er leer, er nimmt die Holzvertäfelungen ab und reduziert die Möbel auf geometrische Grundformen von Würfeln und Quadraten. Das Nichts, die Leere, wird  fortan zu seiner zentralen Mission, die den Bewohner:innen viel Raum lässt für eigene Vorstellungen über eine neue Welt mit modernen Menschen.

 

Im Jahr 1925 bittet ihn das berühmte Kunstsammlerpaar Charles und Marie-Laure de Noailles, ein Stadtpalais aus dem 19. Jahrhundert zu renovieren, angefüllt mit den opulenten Sammlungen ihrer Vorfahren. Frank macht Tabula rasa: Die Holzvertäfelung kommt weg, stattdessen verkleidet er die Wände mit Pergament und feinstem Eselleder. Die Türen gestaltet er aus patinierter Bronze, für den Kamin wählt er einen Überzug mit dünnen Schichten von Glimmer, ein Mineral aus der Elektroindustrie. Davor platziert er Sofa, Sessel und Couchtisch: Das Grundensemble des modernen Wohnens ist geboren. Was Frank bei der Arbeit begleitet, ist die widersprüchliche Kombination aus Schlichtheit und Raffinesse, Opulenz und Leere, Proportion und Asymmetrie. Frank macht nicht einfach Art déco, wie es der Architekt Robert Mallet-Stevens mit den Bildhauer-Brüdern Jean und Joël Martel zur Perfektion getrieben hat – er zelebriert Interiordesign als etwas, das zwischen Luxus und einfachsten Materialien changiert, das keinen Unterschied macht zwischen Gips und Leder, Gold, Pergament und Stroh. Franks zutiefst eigener Stil ist der eines Exzentrikers, der sich an Poesie, Fantasie und Sinnlichkeit berauscht und letztlich doch die Leere feiert, um die herum er seine Eingriffe inszeniert. 

 

Jean-Michel Frank wird zum Vorreiter des modernen Wohnens 

 

Dabei legt er sein Augenmerkt auf Flexibilität und Universalität: Die Möbel sind schlicht geformt und einfach hin und her zu bewegen, sodass sie jederzeit einen anderen Platz in anderer Kombination einnehmen könnten. Auf diese Weise entstehen eine beschwingte Leichtigkeit und eine kreative Stille, denen Franks Genialität wie ein hochsensibles Nervensystem eingeschrieben ist. So erfindet Frank, womöglich ohne es zu wissen, die Prototypen des modernen Wohnens: ein Couchtisch als umgedrehtes U, eine viereckige Vase aus Glas, schlichte helle Lampenschirme. Doch was so einfach aussieht, ist das Ergebnis diffiziler Handarbeit und Proportionsberechnung, die Franks Signatur bis heute einzigartig macht. Und weil er keine Party der High Society auslässt und immer mehr Wohnungen reicher und berühmter Wahlpariser in Raumwunder verwandelt, landen seine Objekte bald neben den Fotomodellen in „Harper’s Bazaar“ und „Vogue“. Dabei ist Frank nie bloß Möbeldesigner. Die Stimmung seiner Objekte und Interieurs ist geprägt von einer Poesie, die sich auch seiner Nähe zu Bildenden Künstlern verdankt. 

 

Der beispiellose Aufstieg des Jean-Michel Frank

 

Das wird 1929 konkret. Im selben Jahr verliert er durch die Weltwirtschaftskrise viel Geld und einen guten Freund durch Suizid, während seine Mutter schon im Jahr zuvor gestorben ist – doch er wird auch künstlerischer Leiter der Firma Chanaux, mit der er schon lange zusammenarbeitet. Rund 30 Leute hat er nun unter sich, die ausschließlich seine Ideen umsetzen, mit denen er aus der Krise heraus das Unternehmen schnell zu ungeahnter Blüte treiben wird. Und es ist das Jahr, in dem er beginnt, direkt mit Künstlern zusammenzuarbeiten: mit Alberto und Diego Giacometti, Christian Bérard und Salvador Dalí. Vor allem mit den Giacomettis, von denen stets nur Alberto als Schöpfer im Vordergrund steht, entstehen verschiedenste Leuchten für Decke, Wand, Tisch und Boden, mal aus Bronze mit weißem Gips, mal aus Alabaster und Muschel, mal aus Gips und Fischkörben, die wirken wie Mischungen aus Tierkörpern und abstrakter Skulptur. Sie verlassen in diversen Varianten die Ateliers und landen bald bei dem Standard-Oil-Erben Nelson Rockefeller, bei der Modeschöpferin Elsa Schiaparelli oder bei Guerlain auf den Champs-Élysées – es ist die geheimnisvolle Traumwelt, diese gänzlich neue, nie geahnte Ästhetik, in die sich alle fallen lassen  wollen, bevor der nächste Krieg die Welt überrennt.

 

Als Frank 1935 seine eigene Boutique im 8. Arrondissement eröffnet, erreicht sein Ruhm den Höhepunkt. Er nimmt immer mehr Aufträge aus den USA und Argentinien an, wo er Villen in Chicago, New York, San Francisco und Buenos Aires ausstattet, die er millimetergenau in Paris  entwirft und erstmals auch mit modernen Kunstwerken, etwa von Henri Matisse oder Fernand Léger, versieht. In den USA vertreten Kaufhäuser seine Möbel. Frank, so könnte man meinen, hat die Tragödien seiner Jugend hinter sich gelassen – er ist der größte Star am Himmel des kosmopolitischen Design-Universums, der sich vom eigenen Ruhm nicht aus der Bahn werfen lässt. Doch das übernimmt dann der Krieg.  

 

Jean-Michel Franks Tod

 

Jean-Michel Franks Niedergang geht ebenso rasant vonstatten wie sein Weg nach oben. Als er 1941 stirbt, spricht keiner mehr über ihn, weder in den USA noch in Europa. Die Welt ist eine andere – für die Exzentrik und den Freiraum eines Künstlers, der sich nicht einordnen lässt, ist kein Platz. Bis heute ist das so geblieben: Gegen Le Corbusier oder Mies van der Rohe ist Jean-Michel Frank ein Unbekannter. Vielleicht, weil die Leere sich in der Dunkelheit so schlecht aushalten lässt. Oder weil die Angst vor dem Verlassenwerden sich am Ende eben doch immer erfüllt. Doch genau darin liegt eben auch eine Poesie, die bis heute ihresgleichen sucht.